DDR Besuch 1972

Nachdem es ab DDR 1964 ein Gesetz gab, dass Bürger welche die DDR vor dem Mauerbau illegal verlassen hatten ohne Verfolgung einreisen durften, wagte ich es nach dem Motto "No risk no Fun". Als ich von meinen Pflegeeltern die nötigen Informationen und Unterlagen (wie Einreisevisum und Zollerklärung) erhielt, stand meinem Entschluß nichts mehr im Wege.

Es war an einem Samstag, wo ich mich von meiner Ängstlichen Frau am Münchner Bahnhof um 8:00 Uhr verabschiedete und in den Zug stieg. Da ich die Ruhe selbst war, genoß ich die Bahnfahrt bis zur Grenze in Hof. Nur die Außenhitze von 32°C machte auch im Zugabteil zu schaffen und damit begann mein Problem. Ich hatte mich auf die Grenzkontrolle vorbereitet. Um eine schnelle Erledigung der Kontrolle zu ermöglichen, legte ich meinen Pass, Visum und die Zollerklärung auf die Fensterkonsole. Als ich mit der Kontrolle an der Reihe war, reichte ich dem DDR Grenzbeamten die Papiere.

Nachdem er im Pass die ungarischen Visa Einträge sah, fragte er etwas argwöhnisch, weshalb fahren sie ständig in Ostblockländer, nur in Urlaub antwortete ich. Beim Aufklappen des Einreisevisums, hörte ich ein zerrendes Geräusch. Der Beamte fixierte mich mit bösem Blick und schrie, was fällt denn ihnen ein, ihr Konterfei hier hineinzupappen und obendrein zu verkleben. Durch die starke Sonneneinwirkung auf der Fensterkonsole, war unter dem Foto der Uhukleber ausgetreten und die Seiten verklebt. Mein Gedanke war, das war's dann. Als der Beamte meine Betroffenheit sah, sagte er etwas freundlicher, na dann kommen sie mal mit.

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Foto aus 'Straßen der DDR' von Michael Krone, Verlag SCHNEIDER TEXT

Wir stiegen aus dem Zug und gingen in ein Bürogebäude. Dort gab er die Anweisung, stellen sie dem Herrn ein neues Einreisevisum aus. Da der Zug in 10 Minuten weiterfuhr bat er die Bürodame, mich bevorzugt zu behandeln und verließ den Raum. Kaum war ich wieder im Zug, fuhr dieser auch schon los. Zu meinem Erstaunen grüßte mich der Grenzbeamte als er mich am vobeirollenden Zugfenster sah.

Im Dresdner Hauptbahnhof erwarteten mich meine Pflegeeltern. Da der Anschlußzug nach Kamenz erst in 90 Minuten fuhr, gingen wir in die Mitropa. Dort bestellten mir die Verwandten eine hervorragende Bockwurst und ein Bier. Nachdem mich am Nachbarstisch eine Familie mit zwei Kindern als Westdeutschen erkannten, fragten sie, ob ich vielleicht für die Kinder einen Kaugummi hätte. Ich gab ihnen je eine Stange, vor Freude umarmten sie mich.

In Kamenz angekommen, standen vor der Haustüre Bekannte und meine früheren Freunde Spalier. Sie kamen mit ins Haus und blieben bis spät in die Nacht, mußte alles ganz genau erzählen. Sie hatten allerdings ein kleines Problem mit meinem wieder zugelegtem bayrischen Dialekt, mußte ihnen einiges auf sächsisch übersetzen. Dennoch konnten sie nicht genug hören. Am Montag ging ich als erstes zur Anmeldestelle, es war Ironie des Schicksals, als wieder der Beamte vor mir stand, welcher mir 1956 die Ausreise versagt hatte. Er war auch überrascht als er mich erkannte.

Mit einem "na wieder im Lande?" begrüßte er mich. Ich erwiderte seinen Gruß "nun als offizieller Bundesbürger" brauchte ich diesmal keinen gesonderten Ausreiseantrag. Zu seinem damaligen Verhalten faselte er was von Vorschriften. Er bot mir sogar jovial die Abmeldung an, damit ich den Weg nicht nochmal machen müßte. Beim Verlassen des Meldebüros wünschte er mir noch einen schönen Aufenthalt in Kamenz. So hatte sich bei einigen DDR Beamten die Gesinnung geändert.

Anschließend ging ich zur Bank um meine DM zu opfern und in Ostmark einzutauschen. Da pro Tag 25 DM gewechselt werden mußte, waren es für 14 Tage 350 DM. Nun stellte sich die Frage was kann ich dafür Gutes erwerben, wo doch die Qualitätswaren exportiert wurden. Die einzige Alternative war deshalb, das Geld im Gasthaus unterzubringen. Also ging ich eines in das Hotel "Goldener Hirsch" wo ich früher öfters beim Essen war. Nach geraumer Zeit schlich sich der Ober gelangweiligtt an. Mit dem Gesicht einer verbrannten Wanze, fragte er, was wünschen der Herr. Ich bestellte wie Anno dazumal ein Paprikaschnitzel. Nachdem sich seine sämtlichen Gesichtszüge entgleist hatten, fragte er mit versteinertem Gesicht, na wo kommen sie denn her. Ich antwortete aus Bayern, dass muß für ihn die Entfernung einer Galaxie gewesen sein, mit etwas gedemütigter Haltung erklärte er mir auf sächsisch, wir ham keen Paprika, keene Zitrone und vom Schnitzel wolln mer erscht gar ne redn, es gibt einfach nischt. Die Reaktion wäre nicht anders gewesen, hätte ich ein paniertes Ameisenripperl bestellt. Er bot mir zumindest eine Bockwurst mit Kartoffelsalat an. Ich habe dankend abgelehnt, nach einem kleinem Bier verließ ich enttäuscht das Lokal.

Eines Tages ging ich zu meinen ehemaligen Reichsbahnkollegen im Bahnbetriebswerk, was ich da erfahren mußte, hat mich sehr erschüttert. Nachdem ich geflohen war, hatten sie einen scharfen Parteisekretär erhalten, welcher mit eisernen Besen kehrte.

Er ließ alle Kollegen vernehmen, inwieweit sie über meine Flucht informiert waren. Als dabei nichts herauskam, wurden ein paar Kollegen in andere Abteilungen strafversetzt. Ich suchte alle auf und lud sie nach Feierabend in die Bahnhofs Mitropa. Für ihre erlittene Unbill, hielt ich sie mit Essen und Getränken frei. Wie sie mir sagten, haben sie sich damals gefreut, dass einem aus ihrer Abteilung die Flucht gelungen war. Sie respektierten auch meine damalige Entscheidung, zumal es der richtige Zeitpunkt war. Als wir uns um Mitternacht trennten, fragte ich, wie es meinem ehemaligen Kurier Reinhold S. geht. Sie erzählten mir, dass man ihn als verdächtigen Mitwisser besonders stark zugesetzt hatte.

Am folgenden Tag besuchte ich Reinhold, er war inzwischen 78 Jahre alt geworden und seine starke Kurzsichtigkeit hatte sich verschlimmert, er war fast blind. Seine Freude war, als er mich schließlich erkannte unbeschreiblich, er wollte mich bei der herzlichen Umarmung gar nicht mehr loslassen. Ich mußte ihm erzählen, wie es mir bei der Flucht ergangen ist. Ich sagte ihm, dass es nur dank seines exzellenten Planes gelungen sei, worüber er sehr stolz war. Da wir uns lange unterhielten, erfuhr ich haarsträubende Dinge.

Man hatte stets versucht, ihn zu erpressen, wenn er sein Wissen über meine Flucht nicht preisgibt, dürfe er selbst als Rentner seine Tochter im Westen nicht besuchen. Auch Fangfragen hatten sie gestellt, indem sie sagten, ich hätte bei Freunden seinen Namen als Fluchthelfer genannt. Da er wußte, dass ich mit niemandem darüber gesprochen hatte und außerdem ja auch kein Verräter bin, hat er alles von sich gewiesen. Man konnte ihm nichts anhaben und ließ ihn eines Tages endlich in Ruhe. Wir ließen unsere gemeinsame Zeit Revue passieren, und haben viel darüber gelacht, wie wir manche Intriganten ausgetrickst haben.

Beim Abschied überreichte ich ihm einen schönen bayrischen Bierkrug, in den ich ein Päckchen Bohnenkaffee gesteckt hatte. Es gab eine rührselige Trennung mit viel Tränen.

Nachdem auch in der DDR die Motorisierung bei den Bürgern eingesetzt hatte, führten mir einige Bekannte und Freunde voller Stolz ihre Errungenschaften vor. Es waren Trabanten und Wartburge ohne jegliche Eleganz. Sie nannten die Gefährte, überdachte Gehilfe, Murmel, Rennpappe, Ulbrichtkabine usw. Für sie war sehr wichtig, unabhängig vom Wetter geschützt von A nach B zu kommen. Ich erzählte ihnen, dass ich nach meiner Flucht im Westen auch einen Plastikbomber (Loyd 400) gefahren habe, worüber sie sehr erstaunt waren.

Da ich am Ende meines Urlaubes noch viel Ostgeld übrig hatte, kaufte ich mir eine sehr schöne Armbanduhr, (Marke Glashütte). Den Rest des Geldes übergab ich den Pflegeeltern. Mit dem Versprechen wiederzukommen, fuhr ich ohne Probleme nach Bayern zurück.