DDR Besuch 1983

Nach der Schikane an der Grenze, hatte ich mir sowie meiner Frau geschworen, nicht mehr in die DDR zu fahren. Als ich aber im Juni 1983 eine Einladung zur 85sten Geburtstagsfeier meines Pflegeonkels bekam, konnte ich nicht widerstehen. Man weiß ja nie, ob man ihn sonst noch einmal sieht. Es passte außerdem sehr gut, ich hatte gerade bei meinem fünften Jahreswagen (BMW 528i) Einfahrkundendienst machen lassen. Nachdem ich in aller Frühe losgefahren war und kein großer Verkehr herrschte, brauchte ich für die 300 KM bis Hof nur knapp zwei Stunden. Hinter Hof kehrte ich in das über der Autobahn befindliche Restaurant Frankenwald ein und frühstückte. Da man vom Restaurant in Richtung Grenze sehen konnte, machte ich mir mit gemischten Gefühlen einige Gedanken, was mich wohl diesmal erwarten würde.

Es war 8:00 Uhr als ich aufbrach und zur Grenze fuhr. Der bayrische Grenzbeamte fragte mich, fahren sie nach Westberlin oder in die DDR. Ich antwortete in die DDR, daraufhin warnte er mich, seien sie vorsichtig, mit diesem Auto stehen sie stündig unter Beobachtung.

Nach einem Kilometer erreichte ich die DDR Grenze. Ich reihte mich in die Spur der DDR Besucher ein. Als ich zur Kontrolle an der Reihe war, grüßte der DDR Grenzer und forderte mich höflich auf auszusteigen, die Papiere vorzuzeigen die Türen sowie den Kofferraum zu öffnen. Er prüfte kurz die Papiere, mit der Frage, führen sie Presse, Journale usw. mit, ich antwortete nein, obwohl er die Bildzeitung auf dem Rücksitz sah, sagte er in Ordnung. Bei dem Blick in den Kofferraum staunte er über den großen Koffer und 2 Kartons.

In einem der Kartons befanden sich fast neuwertige Kinderkleidungen denen meine Kinder entwachsen waren. Ich brachte sie den Kindern meines Freundes mit. Den zweiten Karton hatte ich mit Lebensmittel vollgepackt. Als der Grenzbeamte die 2 Stangen Stuyvesant Zigaretten sah, fragte er, für wem diese sind. Ich antwortete, es ist ein Geburtstagsgeschenk für meinen stark rauchenden Pflegeonkel, welcher 85 Jahre wird. Darauf kam seine Bemerkung, da kann er glücklich sein so eine gute Marke zu bekommen. Ich sagte, schade dass ich ihnen keine Schachtel geben darf. Mit einem Augenzwinkern sagte er, na vielleicht fällt beim Wegfahren zufällig eine aus dem Auto.

Den Wink mit dem Zaunpfahl habe ich natürlich verstanden. Mit dem Wunsch einen schönen Aufenthalt in der DDR ließ er mich in das Auto einsteigen. Da ich im Handschuhfach zwei lose Packungen Stuyvesant hatte, ließ ich beim Wegfahren eine aus dem Auto fallen. Ich sah im Rückspiegel wie er sie aufhob und einsteckte. Für mich war es der Beweis, dass es auch vernünftige DDR Beamte gab.

Es dauerte aber nicht lange und ich wurde eines besseren belehrt. Auf einem Parkplatz sah ich nach dem Toilettenbesuch einen Herrn mittleren Alters mein Auto bewundern. Nachdem ich näher gekommen war, sprach er mich an. Zuerst stellte er technische Fragen, nebenbei kam seine Bemerkung, sie müssen eine hohe Position innehaben, um so ein Fahrzeug fahren zu können. Ich antwortete, dass dies nicht unbedingt sein muß, ich sei ja auch nur ein kleiner Angestellter im Entwicklungsbereich. Da ich ihn sehr nett fand, gab ich ihm die Schachtel Zigaretten, welche ich noch im Handschuhfach hatte. Er bedankte sich überschwenglich und gab mir ein Zettelchen mit seiner Adresse, damit ich ihm ab und zu eine schöne Postkarte aus dem Westen schicke.

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Foto aus 'Straßen der DDR' von Michael Krone, Verlag SCHNEIDER TEXT

Ich war ungefähr 10 KM gefahren, da sah ich im Rückspiegel einen Wolga mit sehr hoher Geschwindigkeit kommen. Nachdem sich der Wolga beim Überholen neben mir auf gleicher Höhe befand, wurde eine Kelle herausgehalten. Zugleich deutete man mir mit einer Handbewegung an, rechts ranzufahren und anzuhalten. Kaum hatte ich gehalten, stiegen zwei Herren in Zivil aus dem Wolga und kamen auf mich zu. Sie baten mich mit freundlichem Ton auszusteigen und die Papiere vorzuzeigen. Nachdem ich fragte mit wem ich es zu tun habe, wiesen sie sich als Mitarbeiter der Staatssicherheit aus. Nachdem sie meine Papiere kontrolliert hatten, fragten sie mich, ob ich wisse warum ich angehalten wurde, ich verneinte. Na da müssen wir sie mal aufklären sagten sie, sie haben auf dem Parkplatz verbotenen Kontakt mit einem Bürger der DDR aufgenommen. Es wurde beobachtet wie sie eine Schachtel Zigaretten übergaben und im Gegenzug einen Zettel erhielten. Auf die Frage werden sie später mit dem Herrn Kontakt pflegen, antwortete ich nein, worauf mir gesagt wurde das sollten sie aber tun.

Da klingelte bei mir die Alarmglocke, "Nachtigal ick hör dir trapsen". Ich erwähnte, wenn ich dem Herrn nicht schreibe, kann keine Korrespondenz stattfinden, da er nicht meine Anschrift hat. Darauf antwortete einer der Herren aber wir haben sie. Als im Wolga ein Funkspruch einging, verabschiedeten sie sich.

Gegen 14:00 Uhr kam ich bei meinen Pflegeeltern in Kamenz an, wo ich bereits mit Sorge erwartet wurde. Ich hatte gerade mein Auto abgestellt, da war es auch schon von Neugierigen umringt. Da ich den BMW vor der Haustüre abgestellt hatte und mein Schlafzimmerfenster zum Glück zur Strasse lag, wurde ich in der Nacht durch ein Geräusch wach. Ich stand auf und sah mit einem Blick aus dem Fenster wie sich eine Gestalt an dem Seitenspiegel meines Autos zu schaffen machte. Nachdem ich ihn mit einem Zuruf erschreckte, flüchtete er. Da ich den Übeltäter trotz der Dunkelheit erkannte, war ich sehr enttäuscht, zumal es ein Freund aus meiner Jugendzeit war.

Am zweiten Tag nach meiner Ankunft herrschte schon frühmorgens große Hektik. Es wurden Vorbereitungen für die anstehende Geburtstagsfeier getroffen. Eine Nachbarin, welche als Betreuerin der alten Herrschaften fungierte, ging nochmal alle Einzelheiten durch. Im Laufe des Vormittags trafen nacheinander die Gratulanten ein. Es waren auch wieder einige Leute darunter, welche schon vor 25 Jahren beim 60sten Geburtstag anwesend waren. Da ich noch etlichen in Erinnerung war, wunderte mich, dass ich nicht über meine Flucht befragt wurde.

Nachdem ich beim Zwangsumtausch (pro Tag 25.-DM) für 10 Tage 250 Ostmark erhalten hatte und dafür nichts vernünftiges kaufen bzw. ausführen durfte, wollte ich dafür wenigsten tanken. Da gab es nur das Problem, dass damit Westautos nicht betankt werden durften. Ich fuhr einfach "frech wie Oskar" zur einzigen Tankstelle in Kamenz. Bevor ich zur Zapfsäule fahren konnte stürmte mir die Bedienerin mit erhobenen Händen entgegen und rief, verlassen sie sofort die Tankstelle in ein paar Minuten kommt der Tankwagen, außerdem dürfen hier Westautos nicht tanken.

Als ich dies meinem Pflegeonkel erzählte und er seine Ausflugsfahrten gefährdet sah, trat er in Aktion. Da er die Frau an der Tankstelle kannte und sie ihm noch einen Gefallen schuldig war, (er hatte als Polizeibeamter und Fronfesteleiter für ihre NS Vergangenheit, die Haft erleichtert) fuhren wir nach einer Wartezeit von 2 Stunden wieder zur Tankstelle. Ich war gerade aus dem Auto ausgestiegen, kam sie auch schon angerannt um mir das tanken zu verwehren. Als sie meinen Pflegeonkel gewahr wurde, änderte sie schlagartig ihre Meinung und wurde sehr freundlich.

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Foto aus 'Straßen der DDR' von Michael Krone, Verlag SCHNEIDER TEXT

Während sie den Zapfhahn festhielt, führten wir ein ungezwungenes Gespräch. Nachdem die Tankuhr 40 Liter anzeigte, wurde sie sichtlich nervös, bei 60 Liter blickte sie unter das Auto. Da aber das Benzin weiter in den Tank lief, fragte sie ängstlich, wieviel gehen eigentlich in den Tank. Ich sagte, knapp 90 Liter, als der Zapfhahn endlich bei 85 Liter stoppte, begann sie zu jammern, sie nehmen ja vier Trabis das Benzin weg. Für das Benzin bezahlte ich 136.- Ostmark und gab ihr zur Beruhigung eine Packung Bohnenkaffee, worüber sie sich freute. Während ich im Westen für die Benzinmenge nur 110.-DM bezahlt hätte, lag der Vorteil darin, dass ich das Ostgeld einsetzen konnte, was ich (1:1 DM gegen Ostgeld) an Besuchergeld eintauschen mußte.

Mit dem vollen Tank machte ich zur Freude der Pflegeeltern mit ihnen Ausflüge in die schöne Sächsische Schweiz und dem herrlichen Spreewald. In der Sächsischen Schweiz besuchten wir die herrlichen Orte Wehlen, Rathen und Bad Schandau sowie die hochgelegene Bastei von der ich sehr begeistert war. Der Ausflug verlief außer Gaststättenmangel ohne Probleme.

Dagegen barg die Heimfahrt vom Spreewald ein kleines Risiko. Da ich auf der Autobahn das vorgeschriebene Tempo 100 K/mh einhielt, fuhr ich auf der rechten Fahrspur. Ich dachte mich laust der Affe, als sämtliche in der DDR gebräuchlichen Fahrzeuge, Trabi, Wartburg, Shiguli und Polski Fiat bzw. Lada an mir vorbeifuhren. Nachdem sie noch die Frechheit besaßen mit hämischen Blicken zu mir heräberzuschauen, fühlte ich mich sehr verarscht. Da keimte in mir der Gedanke hoch, denen zeige ich wo der Bartl den Most holt. Ich setzte den linken Blinker und scherte auf die linke Fahrspur und preschte mit 230 Sachen an ihnen vorbei. Meine im Fond sitzende Pflegetante bekam es mit der Angst zu tun und rief Kleener (für Kleiner) dir nehmen sie noch die Fahrerlaubnis. Dagegen sagte der neben mir sitzende Pflegeonkel, nischt immer druff. Anscheinend waren die DDR Fahrer dermaßen geschockt, dass mich keiner mehr überholte als ich wieder auf die rechte Fahrspur gewechselt hatte. Natürlich hatte ich großes Glück, dass keine Zivilfahnder in der Kolonne waren, oder mich jemand anzeigte.