Begegnung mit Ulbricht

Wie so oft erhielt ich von der Bahnbetriebswerk (Bw) Dienststelle die Order mit dem kleinen Framo (Barkas) nach Cottbus zu fahren, um dort einen Faun bzw. Büssing Lastzug zu übernehmen. Um damit eine größere Besorgungstour bei verschiedenen Reichsbahn Ausbesserungs Werken (RAW) zu machen. Vorgesehen war, Laufradsätze, Kuppelstangen, Speisepumpen, Dampfzylinder, Bremsschläuche und Bremsklötze zu laden.

Auf diesen Fahrten begleitete mich immer der erfahrene und ortskundige Kurier Reinhold S. Er war ein Kollege, der kurz vor seiner Rente stand. Wir verstanden uns auf Anhieb, zumal er ein ausgesprochener Antikommunist war. Er hatte nur ein Handycap, dass er hochgradig kurzsichtig war und ich deshalb öfters ein Problem bekam. Um Zeit und Strecken abzukürzen, hetzte er mich öfters in Strassen die entweder gesperrt oder in einer Sackgasse endeten. Ich hatte dann ziemlich schnell Ärger mit der Polizei. Beim Wenden oder Rangieren mit dem langen Lastzug war er keine Hilfe. Er sehe kaum das Ende des LKW, wenn er vorne stehe. Als wir an diesen Morgen im Framo losfuhren, ahnten wir nicht, dass uns der DDR Staatsratvorsitzende Ulbricht begegnen würde.

Als uns auf dem Streckenabschnitt Spremberg-Cottbus ein Polizeiwagen überholte und ein Beamter mich mit der Kelle zum Anhalten aufforderte, dachte ich an eine allgemeine Verkehrskontolle, aber dem war nicht so. Man sagte uns, der Genosse Ulbricht sei auf dem Weg. Mein Kollege und ich stiegen aus und warteten. Nach langem Warten, tauchten endlich in der Ferne LKW der NVA auf.

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Foto aus 'Straßen der DDR' von Michael Krone, Verlag SCHNEIDER TEXT

In Abständen von ca. 50m sprangen jeweils 2 NVA Soldaten ab, welche sich links und rechts der Strasse postierten. Dann sah ich den Konvoi kommen. Es handelte sich um eine rumänische Delegation die mit dem Staatsratvorsitzenden auf dem Weg nach Dresden war. Der Konvoi umfaßte 7 Fahrzeuge, am vierten Auto erkannte ich die DDR Standarte und nahm an, dass darin Ulbricht sitzt.

Nachdem anscheinend der Polizeioffizier an die Sicherungsbeamten im ersten Auto eine Meldung machen wollte, hielt die Kolonne an. Ungefähr 5m schräg von uns hielt der Wagen mit der DDR Standarte. Zunächst war durch die stark dunkel getönten Fensterscheiben nichts zu erkennen. Plötzlich senkte sich am hinteren Fenster die Scheibe und Ulbricht schaute heraus. Mit seiner hohen Fistelstimme begrüßte er uns und fragte, nu seid ihr beide Genossen, als ich verneinend auf ihn zuging, sprangen sofort 2 Sicherungsbeamte aus dem ersten Fahrzeug um mich abzudrängen. Nach einem Wink von Ulbricht unterließen sie es.

Zur seiner Freude antwortete ich, dass ich zur Zeit das Parteilehrjahr besuche. Er sagte, nu das ist sehr gut, winkend schloss er das Fenster. Ich ging die paar Schritte zu meinem Kollegen zurück und beging einen verhängnisvollen Fehler. Ich fragte ihn, hast du auch gewunken und er antwortete: "Mit beiden Fäusten." Kaum hatte er das ausgesprochen, brüllte hinter uns ein Polizeibeamter, den wir nicht bemerkt hatten: "Was haben sie da eben gesagt?"

Nachdem sich mein Kurier dumm stellte und meinte: "Ich habe nichts gesagt!", wandte sich der Beamte an mich. Sogleich fragte er: "Sie haben doch gehört, was ihr Kollege gesagt hat?" Da antwortete ich: "Ich habe nichts gehört!" Das Ganze hatte ein Nachspiel, was ich noch in Intrigen und Verhöre schildern werde.