Meine Flucht aus der DDR (Teil 2)

Gottseidank
war alles in Ordnung und sie ließ mich laufen. In einem sehr günstigen Augenblick stellte ich meinen Koffer mit der Uniform unter eine Bank und bestieg die S-Bahn in Richtung Ostkreuz.

Ab der Station Ostkreuz fuhr ich mit der U-Bahn Richtung Alt Mariendorf. Den nachdrängenden Menschenmassen ging ich bis zum Ende des Zugabteiles voraus. Bereits an der nächsten Station stiegen die DDR Grenzbeamten ein, da die Menschen dicht gedrängt im Flur standen, kamen sie nur langsam voran. Als zum Glück vor mir ein Betrunkener zu randalieren begann, waren sie mit ihm beschäftigt und nickten mir, ohne mich zu kontrollieren, nur zu. Ein paar Stationen weiter begann der Westsektor von Berlin. An der Haltestelle Tempelhof stieg ich aus, wie mir mein vertrauter Kurier geraten hatte, um 6:30 Uhr war ich in Berlin.

Auf der Fahrt von Kamenz bis Königswusterhausen hatte ich immer das Gefühl beobachtet zu werden, zumal ich ständig von ein paar Personen heimlich gemustert wurde. Kurios war, dass ich einige als verdächtigte Spitzel ansah und sie später als Flüchtlinge in Westberlin wiedertraf. Als ich in der Wechselstube mit einem ins Gespräch kam, stellte sich heraus, dass er mich für einen Informanten gehalten habe, da ich öfters das Abteil verließ und die Kontrollbeamten mir immer freundlich zunickten. Ich klärte ihn auf, dass mich meine Uniformschulterstücke als Reichsbahn Untersekretär auswies und ich somit eine Vertrauensperson war. Er fragte, wo ich die Uniform gelassen habe, ich antwortete, diese schlummert nun unter einer Bahnhofsbank.

In der Wechselstube tauschte ich die 500.-Ostmark, wofür ich 125.-DM erhielt. Anschließend ging ich in ein Café und machte ausgiebig Frühstück. Gleich danach ging ich zum Flughafen Tempelhof und wollte einen Flug nach München buchen, wo schnell meine Euphorie über die gelungene Flucht gedämpft wurde. Da der Flug nach Mänchen 120.-DM kostete, hatte ich ein Problem, zumal mir nur noch 110.-DM zur Verfügung standen. Außerdem benötigte ich noch etwas Geld für die Zugfahrt zu meinen Heimatort.

In einem Telegramm an meine Schwester in München bat ich sie, sie möge doch bitte bei der Air France in der Theatinerstrasse für ein Flugticket 120.-DM einzahlen. Um die Abflugzeit bis 15:00 Uhr zu überbrücken, wollte ich mir die Gegend Tempelhof etwas ansehen. Bei -18°C gab ich dies Vorhaben schnell auf und ging in ein kleines Restaurant. Als ich beim Ober im sächsischen Dialekt ein kleenes Bierchen bestellte, blieb er wie angewurzelt stehen. Er fragte, sind sie ein Sachse, ich antwortete, ich war einer aber ab Nachmittag bin ich wieder Bayer. Neugierig geworden, hakte er nach woher ich denn komme, bei der Antwort von Kamenz, hätte es ihm beinahe die Sprache verschlagen. Nachdem er sich gefangen hatte, kam die Frage, ob ich ihn kenne. Ich musste lange grübeln bis mir das Gesicht bekannt vorkam, sicherheitshalber fragte ich, ob es sein kann, dass er der ehemalige Leiter vom feinem Hotel "Goldene Sonne" ist. Als er dies bestätigte und immer noch meine Skepsis bemerkte, nannte er meinen Namen, sowie die meiner Freunde. Da wir nur selten das Hotel besuchten und ich ihn auch da nicht zu Gesicht bekommen hatte, konnte ich mich nur schwach an ihn erinnern.

Nachdem er mir das kleine Bier gebracht hatte und zu dieser frühen Zeit noch keine Gäste im Lokal waren, setzte er sich entgegen der gastronomischen Gepflogenheit zu mir an den Tisch. Nach und nach erzählte er mir, wieso er nun in Berlin den Beruf als Ober ausübe. Er hatte nach Enteignung seines Hotels, dieses mehrere Jahre als Geschäftsführer geleitet. Durch einen Freund in höherer Stellung hatte er von dem beabsichtigten Geldumtausch (1957) erfahren. Mit einem beträchtlichen Geldbetrag, war er zwei Tage vorher nach Westberlin geflüchtet. Die Flucht war damals in Kamenz Tagesgesrpäch.

Nach seiner Offenbarung, wollte er sich nun über den Grund meiner Flucht und Vorhaben informieren. Ich erzählte ihm, was vorgefallen war und warum ich überstürzt handeln musste. Mein Ziel wäre, nun so schnell wie möglich nach Bayern zu kommen. Ich sagte ihm, dass ich erst auf ein bezahltes Ticket von meiner Schwester warten müsse. Daraufhin machte er mir spontan einen Vorschlag, sollte mein Ticket noch nicht da sein, könnte ich auch ein paar Tage bei ihm bleiben. Er hatte nur eine Bitte, ob ich bereit wäre, seinem Chef zu bestätigen, dass er einmal Eigentümer und Geschäftsfährer des Hotel "Goldene Sonne" gewesen sei. Ich habe ihm den Gefallen getan, worauf er mich mit Speisen und sehr viel Alkohol verwöhnte.

Als ich ziemlich benebelt um 14:00 das Restaurant verließ, um im nahe gelegenen Flughafen nachzufragen ob evtl. mein Ticket schon vorliege, war ich überrascht, denn es war bereits eingetroffen. Mit der Aufforderung mich sofort auf Ausgang B zu begeben, händigte man mir das bereitliegende Ticket aus. Nach kurzen Aufenthalt in der Lounge, wankte ich über das Rollfeld zum Flugzeug.

Eigentlich hatte ich einige Bedenken, dass ich mich evtl. im Flugzeug übergeben muss. Doch der Alkohol, die Kälte auf dem Rollfeld, sowie die Wärme im Flieger, versetzten mich sofort in einen Schlummerzustand. Als mir die Stewardess auf die Schulter klopfte, befand ich mich schon hoch über Berlin. Während sich einige in den Tüten verewigten, hatte ich keinerlei Probleme.

Als wir 17:30 Uhr München anflogen, erhielten die Piloten wegen starken Schneesturm keine Landeerlaubnis. Nach etlichen Flugrunden, durften wir nach 20 Minuten endlich landen. Auf dem Rollfeld herrschte wie in Berlin eisige Kälte. Mit dem Zubringerbus fuhr ich von Riem zum Hauptbahnhof und löste eine Bahnkarte nach Mainburg. Dort angekommen, musste ich noch einen 6 KM langen Fußmarsch bis zu meinem Heimatort Steinbach zurücklegen.

Es war eine sternenklare, bitterkalte Nacht und der Schnee knirschte unter meinen Schuhsohlen. Da mein Elternhaus einen Kilometer außerhalb vom Dorf auf einer Anhöhe lag, war ich froh, als ich es endlich sah. Nachdem im Dorf nächtliche Ruhe herrschte, schlug plötzlich unser alter Wolfshund an, den ich großgezogen hatte. Als ich leise seinen Namen Prinz Regent rief, hätte er beinahe seine lange Laufkette vor Freude abgerissen. Da er sich so wild gebärdete, wollte mein Vater nach dem Grund schauen. Mein Vater blieb wie angewurzelt stehen, als er mich den Berg heraufkommen sah. Er konnte es nicht glauben, dass ich die waghalsige Flucht geschafft hatte. Mit Freudentränen umarmten wir uns, nachdem ich meinen treuen Hund gestreichelt und beruhigt hatte, gingen wir ins Haus. Meiner Mutter verschlug es vor lauter Staunen über mein Erscheinen die Stimme.

Meine Flucht hatte somit am 9.1.1959 um 23:00 Uhr ein Ende.