Intrigen und Verhöre

Fall 1
Als ich 1957 im Roburwerk tätig war, wurde am 1. März zum ersten Jahrestag der NVA Gründung vom BGLer (Betriebsgewerkschaftsleiter) ein Ansteckabzeichen verkauft, welche einen Soldaten mit Gewehr darstellte. Der BGLer heftete es mir persönlich an meine blaue Arbeitsjacke. Kaum war er verschwunden, kam ein im Betrieb bekannter Revoluzzer. Mit den Worten, wir sind Arbeiter und brauchen keine Waffen, zwickte er mit dem Seitenschneider das Gewehr weg. Obwohl man schon mehrmals versucht hatte ihn auf Kurs zu trimmen, war er als renitenter Gast in Hohenschönhausen und Bautzen bekannt. Nachdem die Spezialkurse keinen Erfolg zeigten, beauftragte man ihn im Werk mit der niedrigsten Arbeit, er musste Materialientauchversuche in Säurebädern durchführen. Nach dem Attentat auf mein Abzeichen waren ungefähr zwei Stunden vergangen, als plötzlich der Parteisekretär vor mir stand und das beschädigte Abzeichen sah. Er fragte, woher ich das habe, ich antwortete vom BGLer. Er bohrte weiter, ob ich das Gewehr heraus gezwickt habe, meine Antwort war nein. Nun sollte ich ihm den Namen des Übeltäters nennen. Zunächst stellte ich mich dumm und sagte, dass ich nicht weiß, wer dies gemacht habe.

Im Weggehen sagte er, das werden wir bald herausfinden. Nach ca. 30 Minuten erschien ein Werkschutzmann und forderte mich auf mitzukommen. Er brachte mich in den Konferenzraum, wo bereits die ganze Führungselite Werksleiter, Abteilungsleiter, Kaderleiter, Gewerkschaftsleiter, Meister, Brigadier und natürlich der Parteisekretär versammelt war und mich erwartete. Ich sollte nun den Namen des Kollegen preisgeben, welcher das Abzeichen verunstaltet habe. Da ich Böses ahnte, hatte ich mir, um den Kollegen nicht zu verraten, schon eine Antwort zurecht gelegt, Meine Arbeitsjacke habe längere Zeit unbeaufsichtigt am Haken gehangen. Die Beschädigung entziehe sich daher meiner Kenntnis.

Irgendwann wurde es ihnen zu dumm und sie riefen den Staatssicherheitsdienst an, welcher mich sofort in einem unauffälligen PKW zur Vernehmung abholte und ins Politbüro fuhr. Man führte mich in einen abgedunkelten Raum und bedeutete mir, mich zu setzen und zu warten. Im karg eingerichteten Zimmer konnte ich in der Dunkelheit vor dem Tisch nur einen Stuhl entdecken, während dahinter zwei standen. Auf dem Tisch standen links und rechts eine riesige Lampe. Ungeduldig harrte ich der Dinge die da kommen sollten. Beinahe wäre ich vor Schreck vom Stuhl gefallen, als die Lampen mit lautem klacken angingen. Ich hörte zwei Männer hereinkommen, die sich hinter den Lampen mir gegenüber setzten und gleich das Kreuzverhör eröffneten. Mit vollem Lichtschein im Gesicht, sollte ich ihre Fragen beantworten und den Namen des Kollegen nennen, welcher das Abzeichen beschädigt habe.

Nachdem ich immer die gleichen Angaben machte, wurden sie aggressiv und drohten mit Konsequenzen. Nun drehte ich den Spieß um und verlangte, dass mein Pflegeonkel zum Verhör hinzugezogen wird. Als sie fragten, wer das sei, nannte ich den Namen, kaum hatte ich ihn ausgesprochen, änderte sich die Situation. Da mein Pflegeonkel als Hauptwachtmeister die Fronfeste (Stadtgefängnis) leitete und seit 1925 der kommunistischen Partei angehörte, war er allseits sehr bekannt. Die Herren hatten es plötzlich sehr eilig und brachen das Verhör ab. Sie schickten mich zu Fuß in meinen Betrieb zurück. Inzwischen hatte man den Kollegen auf Verdacht nach Bautzen gebracht. Da ich seinen Namen nicht preis gegeben hatte, wurde er am nächsten Tag wieder freigelassen. Hinter vorgehaltener Hand war es Stadtgespräch bei Gleichgesinnten. Irgendwie war ich stolz und freute mich, dass ich den aufputschenden Gegenspielern eins auswischen konnte.

Fall 2
Nachdem mein Kollege auf der Fahrt nach Cottbus den ungläckseligen Satz gesprochen hatte, er habe dem Genossen Ulbricht mit beiden Fäusten gewunken, wurden unsere Personalien von einem Polizeioffizier festgehalten. Nachdem er alles an die Reichsbahndienststelle Cottbus gemeldet hatte, mussten wir uns sofort beim Kaderleiter melden. Nach kurzer Befragung ließ er uns gehen, meldete aber den Vorfall unserer Dienststelle in Kamenz. Dort angekommen, wurden wir bereits erwartet. Im Büro des Einsatzleiters begann das gleiche Spiel wie im Roburwerk, nur in kleineren Rahmen. Da wir bei der Aussage blieben, nichts gesagt, nichts gehört zu haben, drohte man uns umgehend mit einem Strafverfahren. Wir sahen dem gelassen entgegen, zumal das Verhältnis 2 zu 1 stand. Das Verfahren wurde deshalb auch eingestellt.

Fall 3
Mit der linken Bazille, meinem Meister bei der Reichsbahn, bekam ich dreimal großen Ärger. Das erste Mal hetzte er mich in Dresden in eine Straßenbaustelle, welche durch eine Regelscheibe geregelt wurde. Als diese in ca. 200m Entfernung rot zeigte und ich auf grün wartete, gab er mir ungeduldig den Befehl endlich zu fahren, die Regelscheibe zeige grün. Kaum hatte ich die Baustelle passiert, hielt mich die Polizei auf. Im barschen Ton wurde ich angeschnauzt, was fällt ihnen ein, eine rote Regelscheibe nicht zu beachten. Mein Hinweis ich bin auf Anweisung meines Meisters gefahren, wurde nicht akzeptiert, ich sei der Fahrer, hieß es. Zur Schande eines Kraftfahrers erhielt ich einen Stempel in die Berechtigungskarte, sowie eine Geldstrafe von 20 Mark. Mein Meister verhielt sich dabei sehr bedeckt. Zuhause angekommen, erzählte ich den Vorfall meinen Kollegen, sie klärten mich auf, dass der Meister farbenblind sei.

Kurze Zeit darauf ereignete sich der nächste Zwischenfall mit ihm. In Zittau sollte ich einen Fernlaster übernehmen. Aus diesem Grund fuhr mich der Meister mit dem MZ Motorrad hin. Als wir durch Bautzen fuhren, erkannte er die Rotphase der drei nacheinander geschalteten Ampeln nicht. Nachdem er schon bei zwei durchgefahren war, klopfte ich ihm zur Warnung vor der dritten Ampel auf die Schulter. Mit einer Vollbremsung landeten wir bei regennasser Straße mitten in der Kreuzung. Bei der Unfallaufnahme gab er an, ich hätte ihn erschreckt. Um keinen Führerscheinentzug zu riskieren, verschwieg er seine Farbenblindheit, bekam aber trotzdem große Schwierigkeiten.

Eines Tages erhielt ich vom Einsatzleiter die Order, mit dem Meister eine Ausflugstour für die Intelligenz zu fahren. Nachdem ich die Luxuskarosse (Sachsenring P 240) vorgefahren hatte, ging ich in die Abteilung um mich von Kollegen zu verabschieden. Sie unterhielten sich gerade über den piepsenden Sputnik, welche die Russen in den Weltraum geschossen hatten. Als mich nebenbei ein Kollege fragte, na Hans wo gehts heute hin, antwortete ich ihm, muß mit dem Meister eine Ausflugstour für die Führungselite festlegen, darauf kam von ihm kurz die Antwort, aha eine Sauftour für die Parteibonzen aussuchen. Wir hatten alle nicht bemerkt, dass sich der Streber Schmitchen Schleicher angeschlichen hatte und in der Türe stehen geblieben war. Kaum war ich mit ihm losgefahren, wollte er den Namen wissen, wer das mit Sauftour und Parteibonzen gesagt hat. Ich antwortete, ich habe darauf nicht geachtet, da mich das Gespräch mit Sputnik interessierte. Obwohl ich der Meinung war, dass er selbst genau gehört hatte, wer es war, wollte er anscheinend nur eine Zeugenbestätigung.

Da wir den ganzen Tag unterwegs waren, drängte er mich unentwegt den Kollegen zu nennen. Ich blieb bei meiner Version mit dem Sputnik. Zur Dienststelle zurück gekommen, verabschiedete er sich mit den Worten Morgen früh um acht ist Rambazamba beim Kaderleiter. Er drohte mir, dass es diesmal nicht so läuft wie im Roburwerk (war damals Stadtgespräch), wo du dich hinter einer faulen Ausrede verstecken kannst. Außerdem sei er aus einem anderen Holz geschnitzt, ich aber auch war meine Antwort. Nachdem ich den Kollegen alles mitgeteilt hatte, wurden sie nervös und warnten mich. Sei vorsichtig, der Mann ist sehr gefährlich, hat schon mehrere Kollegen auf dem Gewissen, schließlich ist er Parteisekretär. Ich beruhigte die Kollegen, bin ja nicht auf der Brennsuppe daher geschwommen. Am nächsten Tag Punkt acht fand ich mich im Büro des Kaderleiters ein, wo mich der ganze Führungsstab erwartete, sogar mein Gönner und oberster Bahnchef.

Nach der Begrüßungsfloskel, erklärte der Meister den Anwesenden den Grund der außerordentlichen Versammlung. Nachdem er geendet hatte, sagte er, der Kollege Stockmeier wird ihnen nun den Namen des Revoluzzers nennen. Zur Enttäuschung aller Versammelten sagte ich immer wieder, dass ich es nicht wisse, da mich das Gespräch vom Sputnik interessiert habe. Als der Meister mit hochroten Kopf mich einzuschüchtern versuchte und zu drohen begann, trat der Bahnchef in Aktion. Zu dem Meister gewandt sagte er: "Meinen Bayern machen sie mir nicht kaputt, der Mann hat Charakter und verpfeift seine Kollegen nicht!" Er löste somit die ergebnislose Runde auf. Als wir alle das Büro verließen, rief er den Meister zurück, er müsse mit ihm noch reden. Mit Spannung und Neugier erwarteten mich die Kollegen. Sie konnten es nicht glauben, dass der Intrigant diesmal nicht zum Zuge kam. Ein Kollege bemerkte, da hat der Meister endlich seinen Meister gefunden. Nachdem wir noch erfuhren, dass der Intrigant 30 KM entfernt nach Königsbrück versetzt wird, ließen wir nach Feierabend in der Mitropa die Gläser klingen.

Fall 4
Als ich einmal von einer längeren Dienstfahrt aus Stendal zurück kam, lag im Büro des Einsatzleiters eine Vorladung vom MiL-ND (Militärischer Nachrichtendienst) vor, welchen ich umgehend aufzusuchen hatte. Ich ging sofort am nächsten Tag hin. Wie sich heraus stellte, hatte Gerd Meldung gemacht, dass ich ihn über eine Fluchtmöglichkeit über die Ostsee ausgehorcht hätte. Natürlich leugnete ich diese Anschuldigung ab und verlangte eine Gegenüberstellung, was aber nicht möglich war. Gerd befand sich bereits wieder bei der Marine. Mit dem Hinweis, dass sie es der Ermittlungsstelle übergeben würden, durfte ich gehen. Ein paar Tage später bekam ich die Aufforderung dort zu erscheinen. Man warf mir beabsichtigte, illegale Republikflucht vor, zu der ich Stellung nehmen solle. Ich antwortete, dass dies für mich nicht in Frage komme, da bereits ein offizieller Ausreiseantrag gestellt sei. Nach Überprüfung der Angabe, war die Sache erledigt, ich durfte unbehelligt nach Hause gehen. Kurz darauf bin ich dann aber doch noch illegal geflüchtet.