Gaststätten

Nachdem es nach dem Krieg noch herrliche Gaststätten und urige kleine Kneipen gab, so änderte sich das langsam und schleichend. Ein Lokal nach dem anderen schloss die Pforten. Sei es durch Versorgung der Gaststätten mit Lebensmitteln (z.B. Fleisch) oder Resignation der Wirtstuben Inhaber. Auch Enteignung und Verstaatlichung der Hotels spielten eine Rolle.

Konnte man 1956 noch ein Paprika-Schnitzel in den Gasthäusern bestellen, wurde es ein paar Jahr später, schon ein Problem. Selbst in mittelmäßigen Hotels schaute einen der Oberkellner von der Seite an. Mit den Worten, haben wir nicht, bei der Gegenfrage warum nicht, erhielt man die Auskunft: "Wir haben keinen Paprika, geschweige Zitronen - vom Schnitzel wollen wir erst gar nicht reden! Ich kann ihnen aber eine Bockwurst mit Kartoffelsalat anbieten," war sein Vorschlag, dessen Laune über das missgünstige Angebot hinaus auch noch sehr übel war. Den Bedienungen in der DDR lag ohnehin nicht viel an Gästen, da sie keine Umsatzbeteiligung hatten. Natürlich wirkte sich die schroffe Art der Mitteilung und gelangweilte Gehabe negativ auf die Höhe des Trinkgeldes aus.

Manchmal ging es in der Republik sogar soweit, dass keine Holzgrillkohle mehr verkauft werden durfte, damit man nicht in Versuchung kam, knappes Fleisch bei Grillabenden zu verbrauchen. Bei größeren Festen mußten sich die Gastgeber also früh genug mit Raritäten an Lebensmitteln eindecken. In Ausrichtung und Organisation einer Festlichkeit hielten Verwandte, Freunde und Bekannte hervorragend zusammen und brachten oft kurzerhand selbst etwas ess- und trinkbares mit.

Als einmal bei einer längeren Hitzeperiode die Brauereien mit den Bierlieferungen in große Bedrängnis kam, saßen die Leute ungeduldig in den Kneipen und warteten mit Schnapsfahne auf ein kühles Bier. Wenn dann das nicht genügend abgelagerte Bier endlich geliefert wurde, bekamen sie einen flotten Gang.

Wenn ich ab und zu meinen hohen Reichsbahn-Vorstand und seine Gattin am Wochenende mit dem Luxusauto (Sachsenring P 240) spazieren fuhr, konnte ich keinen großen Mangel an Nahrungsmitteln feststellen. Während z.B. in Dresden die Leute vor den paar geöffneten Lokalen Schlange standen, erhielten wir im Hotel Bellevue sofort Einlass. Als ich auf der Speisekarte die lukullischen Gerichte studierte, wurde mir das zwei Klassensystem gewahr. Die einen prassen, die anderen darben.

Mit unserer Stammkneipe hatten wir großes Glück, obwohl Kamenz schöne Gaststätten und Hotels hatte, gingen wir lieber in die kleine schumrige Spelunke Buschas. Die Wirtin bediente selbst, sie hatte das Herz am rechten Fleck. Wir nannten sie unsere gute Lore, die auch mal eine Runde Grog spendierte, wenn wir nach einem Spaziergang durchgefroren reinkamen. Sie verstand es immer wieder, dass ihre Kneipe nicht konfisziert wurde. Wenn öfters der Revisor auftauchte, wies sie auf die Unrentabilität der Kneipe hin. Wir unterstützten sie, indem wir dann laut riefen: "Lore, kannst du ankreiden? Wir sind knapp bei Kasse!" Wenn der Prüfer weg wahr, spendierte sie uns eine Runde der selten gewordenen Goldkappen (Radeberger Pils). Lore warnte uns auch, wenn jemand an einen der Tische die Ohren spitzte. "Die schwarze Hand (Stasi) ist anwesend!" flüsterte sie uns dann zu.

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Foto aus 'Straßen der DDR' von Michael Krone, Verlag SCHNEIDER TEXT

Am meisten Spass hatten wir, wenn der hochgradig homosexuelle Egon zur Tür hereinkam, wir hatten ihm den Spitznahmen Detlef gegeben. Er lustwandelte stets in dunklem Anzug und hellen Trenchcoat, sowie mit weißen Turnschuhe und Panamahut durch die Stadt. Sobald er unsere Stammkneipe betrat, winkten wir ihm, damit er sich zu uns setzt. Es dauerte nicht lange, da fing er an mit seinen Händen unsere Oberschenkel abzutasten. Für diesen Fall hatten wir in dem Bilderrahmen hinter uns eine Stecknadel deponiert. Wenn er zu zudringlich wurde, stachen wir ihm ganz schnell in den Handrücken. Er musste eine Lederhaut haben, nach kurzer Zeit, ging seine Hand wieder auf Wanderschaft.

In unserer Ecke stand auch ein Radio. Der Lügenbaron Karl - Eduard von Schnitzler hielt gerade seine Hetztiraden, in der das Wort DDR öfters als nötig vorkam. Da sagten wir schon etwas angeheitert, man mösste ihn mal aufklären, dass DDR "Dauernd Dunkle Reklame" heißt. Kaum hatten wir das ausgesprochen, erhob sich am Nebentisch ein Gast und verschwand. Es dauerte nicht lange, da erschienen zwei Herren und stellten uns zur Rede, nach einer Ermahnung solche staatsfeindliche Äußerungen in Zukunft zu unterlassen, verließen sie das Lokal.