Tempolimit

Nachdem auch die DDR mit zunehmenden Verkehr zum Teil schweren Unfällen konfrontiert wurde, verstärkten die Polizeiorgane die Geschwindigkeitskontrollen. Diese fanden statt, indem zwischen zwei Markierungstellen die Zeit der Passierung gemessen wurde, was einer Sektionsmessung gleichkam. Am meisten wurde die Messung durch hinterherfahren mit zivilen Autos durchgeführt. Nur zur Info: Das Tempolimit in der DDR lag in geschlossener Ortschaft bei 50 km/h, 80 km/h auf Landstraßen und betrug auf Autobahnen lediglich 100 km/h.

War die Geschwindigkeitsübertretung gering, drückten die Polizeibeamten auch mal ein Auge zu und es blieb bei einer Mahnung. Bei erheblicher Überschreitung des Tempolimits war eine saftige Geldstrafe fällig, am schlimmsten und sehr gefürchtet war die Eintragung eines Stempels in den Berechtigungsschein. Der Berechtigungsschein wurde zusätzlich beim Erwerb der Fahrerlaubnis ausgehändigt und diente als Sündenregister. Der erste hatte die Nr.1 und war weiß und hatte 2 Kreisrubriken. Der zweite mit der Nr. 2 war gelb und hatte ebenfalls 2 Rubriken. Der dritte mit der Nr. 3 war rot und hatte nur noch eine Rubrik. Waren alle 3 Berechtigungsscheine innerhalb von zwei Jahren mit Stempel (insgesamt 5) versehen, war Schluß mit lustig, die Fahrerlaubnis wurde auf Lebenszeit eingezogen. Es gab aber die Möglichkeit den weißen Nr.1 mit 2 Stempeln, sowie den gelben Nr. 2 mit 2 Stempeln wieder gegen einen neuen weißen Berechtigungsschein mit der Nr.1 einzutauschen. Dies war aber nur möglich, dass man innerhalb von zwei Jahren nicht schon den roten erhalten hatte. Der rote Berechtigungsschein Nr. 3 war nicht eintauschbar. Beim nächsten Vergehen hatte man dann die Chance wieder zu Fuß gehen zu dürfen.

Obwohl ich Öfters in eine Geschwindigkeitskontrolle geriet, hatte ich viel Glück und kam oft glimpflich davon. Bei einer nächtlichen Fahrt von Mei?en nach Oschatz, wurde ich in einem Dorf mit 68 km/h gestoppt. Da ich einen Eilauftrag vorweisen konnte, drückten die Beamten ein Auge zu und wünschten gute Ordnungsgemäße Weiterfahrt.

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Foto aus 'Straßen der DDR' von Michael Krone, Verlag SCHNEIDER TEXT

Einmal bekam ich sogar von der Polizei Schützenhilfe. Von der Einsatzleitung hatte ich den Auftrag erhalten zum RAW (Reichsbahn Ausbesserungswerk) Dresden-Friedrichstadt zu fahren und Bremsschläuche zu laden. Sollte diesmal nicht die Autobahn benutzen, sondern über Radeberg fahren und dort einen Verwaltungsleiter mitnehmen. Ich war mit dem IFA H6 (6,5 Tonner) unterwegs. Auf der Strasse durch die Dresdner Heide gab es einige Probleme. Es lag ca. 3 cm Pulverschnee, darunter war es spiegelglatt. Die noch zu fahrenden 20 KM waren der reinste Horror, da die Strecke rauf und runter ging und sehr kurvig war, konnte ich nur ganz langsam fahren. Während ich versuchte den LKW auf der Strasse zu halten, nervte der Kollege. Ich solle an seine Familie denken, schließlich habe er 6 Kinder und mache mich verantwortlich wenn ihm was passiere. Wäre in der Gegend eine Bushaltestelle zu sehen gewesen, hätte ich ihn rausgeworfen. Ich schwor mir, die Rückfahrt ohne ihn zu machen. Als ich meine Fracht geladen hatte, tauchte nach Erledigung seiner Sache auch der Kollege wieder auf. Ich eröffnete ihm, dass für ihn hier Endstation ist, um nach Hause zu kommen, soll er sich anderweitig eine Fahrgelegenheit suchen, schließlich fährt auch ein Zug nach Radeberg. Nachdem er anstalten machte ins Führerhaus zu steigen, zog ich ihn zurück und sperrte die Beifahrertür ab. Er fing zu toben an und schrie, ob ich weiß mit wem ich es zu tun hätte, mit einem Angsthasen antwortete ich. Seine Drohung mit Konsequenzen nahm ich sehr gelassen. Als er sich am nächsten Tag beim Einsatzleiter beschweren wollte, klärte ihn dieser auf, im Fährerhaus hat der Fahrer Hoheitsrecht und treffe die nötigen Entscheidungen. Mit der Abfuhr gab sich der Kollege nicht zufrieden und bestand auf eine Anzeige. Ich hätte nach Alkohol gerochen und wäre mit überhöhter Geschwindigkeit risikoreich gefahren.

Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass die Strecke Radeberg-Dresden überwacht wurde und kein Fahrzeug schneller als 40 km/h gefahren sei. Was den Alkoholgeruch betraf, ich hatte in der Früh eine größere Menge Hustensaft eingenommen, welcher nach Alkohol gerochen hat. Für den Kollegen hatte es ein böses Nachspiel, wegen Falschanschuldigung bekam er ein Disziplinarverfahren.

Da mein oberster Bahnchef den Rang eines Oberinspektors innehatte, mußte ich ihn öfters zu Besprechungen oder zu Eisenbahnunfällen fahren. Auf den Fahrten lernte ich ihn nicht nur als Vorgesetzten sondern auch als Menschen kennen, der das Herz am rechten Fleck hatte.

Eines Tages fuhr ich ihn nach Görlitz, da ein Teil der Hauptstrasse in Bautzen gesperrt war, mußte ich die Umgehungsstrasse nehmen, welche am Stasi-Gefängnis (gelbes Elend) vorbei führte. Wir sahen einen kleinen Trupp (ca. 30 Mann) mit Pickel und Schaufel marschieren. Mein Chef murmelte, da sind viele Unschuldige darunter, nur weil sie mit der DDR Politik nicht einverstanden sind.

Einmal kam ich mit ihm Montagfrüh 7:00 Uhr am Sowjetischen Stützpunkt in Schwepnitz vorbei, als plötzlich mehrere Salven Schüsse fielen. Etwas ängstlich fragte ich den Chef, was das bedeutet. Er klärte mich auf, es werden wiedermal russische Soldaten erschossen, die Benzin gegen Schnaps getauscht hatten.

Eines Tages war in Berlin um 9:00 Uhr eine wichtige Konferenz angersetzt, wo mein oberster Chef teilnehmen sollte. Ich holte ihn um 6:30 Uhr ab, er setzte sich in den Fond um Akten zu studieren. Plötzlich fing er zu schimpfen an, seine Sekretärin hatte ihm die falsche Akte in die Tasche getan. Er bat mich umzukehren und die 20 KM zurückzufahren. Im Büro verständigte er den Kommissar der Reichsbahn, dass er verspätet kommen würde. Ich versuchte die verlorene Zeit gut zu machen und gab dem entsprechend Gas. In Ruhland fuhr ich auf die Autobahn und erhöhte das Tempo auf 140 km/h. Es dauerte nicht lange und eine Autobahn Polizeistreife überholte uns. Mit winkender Kelle wurde ich aufgefordert sofort anzuhalten. Kaum hatte ich angehalten, näherte sich ein Beamter, mit Bewunderung musterte er unsere Staatskarosse (Sachsenring P 240). Als er im Fond die goldenen Schulterstücke meines Chef sah, fragte er freundlich wohin so eilig. Nachdem ich ihn auf das Malheur und die wichtige Konferenz in Berlin hinwies, nahm er Haltung an, grüßte und wünschte gute Weiterfahrt. Da wir noch 20 Minuten vor Beginn der Konferenz eintrafen, erhielt ich vom Chef höchstes Lob. Auf der Rückfahrt animierte er mich ein Reichsbahn Seminar zu besuchen, es hätte für mich einige Vorteile, diese wären die Rangstufe Reichsbahn Untersekretär, höhere Gehaltsstufe und die blau/gold gewobene Kordel an der Schirmmütze, sowie goldeingefaßte Epaulette (Schulterstück) mit Goldstern. Ich habe seinen Vorschlag befolgt und das Seminar mit Bravour bestanden.

Um unsere Fußballmannschaft (BSG Lokomotive) mit Angehörigen am Wochenende mit dem Omnibus zu Auswärtsspielen fahren zu können, machte ich zusätzlich zur LKW Fahrerlaubnis den Personen Beförderungsschein. Auf den Rückfahrten von Spielen, wurde im Bus immer sehr viel getrunken, entweder aus Freude über das gewonnene Spiel oder Frust über das verlorene. Als ich einmal in Weißwasser kurz an einer Ampel anhalten mußte, stand in einiger Entfernung ein Polizeibeamter. Da er die Mannschaft gröhlend die Bierflaschen schwingen sah, erhob er den Zeigefinger. Nachdem ihm ein übermütiger Spieler die Zunge rausstreckte und eine lange Nase machte, wurde ich kurz darauf von einer nachfolgenden Polizeistreife angehalten. Ich sollte ihnen als der verantwortliche Fahrer der Busgesellschaft den Mann übergeben. Da ich aber nicht wußte wer der Schuldige war, sollte sich jener selbst zu erkennen geben, ansonsten wird die Weiterfahrt nicht gestattet. Nachdem wir nun schon längere Zeit gestanden hatten, wurden die Frauen der Spieler unruhig, sie wollten so schnell wie möglich nach Hause. Sie bedrängten den Übeltäter auszusteigen, nach festhalten der Personalien, durfte er wieder einsteigen und wir konnten weiterfahren. Er bekam eine Anzeige wegen Beamtenbeleidigung.

Das Auge des Gesetzes war in der DDR eben allgegenwärtig.